Agitation Free im Postbahnhof, Berlin 20.03.12

„Ding-Dong“ macht es, Lautsprecherdurchsage auf einem japanischen Flughafen. Doch sind wir im Berliner Postbahnhof zwischen einer lustigen Ansammlung von Alt-Freaks, ergrauten Langhaarigen, Kiffern, ehemaligen Langhaarigen, ehemaligen Kraut-Rauchern und ein paar jüngeren Kraut-Rock-Fans.

Startendes Flugzeug, Gesprächsfetzen aus den Boxen: „You play for us today?“ Rauschen, Zischen, Huschen, Schattenrisse auf der Bühne: Die Gestalten von Agitation Free. Ja, sie spielen für uns heute, nach langer Pause, fast vierzig Jahre nach ihrer Auflösung im Jahr 1974.

Damals waren sie junge Wilde mit kühnen Ideen und zwei bahnbrechenden Alben: „Malesch“ (1972) und „2nd“ (1973). Mit mutigen Experimenten zwischen Rock und Elektronik, Gitarren und Synthesizern, ausufernden Improvisationen, Psychedelia, fernöstlichen Einflüssen und mächtigen Lightshows. Im letzten Jahr erschien „Shibuya Nights“, der Mitschnitt eines Konzertes, das sie während einer kurzen Reunion 2007 in Tokyo gaben.

Heute spielen sie exakt dieselben Songs in derselben Reihenfolge. Langsam bauen sie ihren Sound auf, ziehen eine immer dichtere Wand hoch, aus Klang ohne Gesang, mit mächtigem Georgel, elektronischen Geräuschen, elektrischen Gitarren und einer massiven Rhythmusgruppe aus Bass, Schlagzeug und Computer. Arabische Klänge, elektronisches Pochen, stürmische Rauschen, Schienenschlagen. Aufgetürmtes Lärmen aus dem aufgeklappten Laptop von Michael Hoenig. Filziges Klöppeln, scharfes Zischen der Becken von Burghard Rausch. Wobei ihn manchmal ein gerüttelt Teil eines zweiten Schlagzeugs aus dem Computer überdröhnt. Michael „Fame“ Günther spielt einen stoischen Bass, und vorne rackern die beiden jungenhaft aussehenden Gitarristen.

Lutz „Lüül“ Ulbrich, von dem man als Banjospieler der 17 Hippies und als Akustikgitarrist seiner eigenen Band inzwischen andere Töne gewohnt ist, traktiert die alte Gibson-SG-Gitarre mit E-Bow oder Geigenbogen, dass es quietscht und kreischt und jault. Tritt das Volumenpedal auf Vollgas, zerrt vibrierende Töne, um an anderer Stelle wieder ganz leise zu plingeln mit plätschernden Arpeggios. Gustl Lütjens verwebt auf der Stratocaster jazzig schräggelegte Greatful-Dead-Melodik, Jimi-Hendrix-Zitate, Bottleneck-Passagen und wunderbare David-Gilmour-Mimikry. „Interstellar Overdrive“ von Pink Floyd zum Schluss, und alle sind glücklich.

H.P. Daniels im Tagesspiegel 22.03.12

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