“Fame“ hieß er, war Rockstar, und jede Menge Mädchenherzen flogen ihm zu.
Seinen Vater hat er nie kennengelernt, mit seiner Mutter verstand er sich nicht. Also zog er früh aus, weg aus dem Spandauer Hochhausghetto, in eine Wohngemeinschaft in Westend. Da ging er noch aufs Gymnasium und spielte Bass in einer Band, The Ugly Things, Rhythm ’n’ Blues, hart und ruppig. Dabei war er ein weicher und freundlicher, hübscher Junge. Mit langen Haaren allerdings, die Mitte der Sechziger noch schwere Aggressionen auslösten bei „diesen ganzen Spießern“, wie er sie nannte, und für die er nichts übrig hatte als Verachtung.
Es war die Zeit, in der ihn eine junge Bewunderin „Fem“ nannte wegen seiner zarten, leicht femininen Züge.
Der Klang des Namens blieb hängen, alle nannten ihn bald so, die Schreibweise allerdings änderte sich zu „Fame“ – Ruhm, Glanz, Berühmtheit. Das passte noch besser zu ihm, denn genau das war es, was er sich erträumte. Er wollte auf die ganzen Spießer, die Angepassten, die Streber pfeifen. Eine bürgerliche Karriere hat ihn nie interessiert.
Nach einer Odyssee durch verschiedene Schulen machte er das Abitur, aber dann war es auch schon vorbei mit der geordneten Laufbahn. Alle Energie steckte er in die Musik. Zuerst waren es die Beatles, Stones, Kinks, Pretty Things, die ihn mitrissen, später die experimentelleren Klänge von Pink Floyd und die ausufernden Improvisationen von Cream und Grateful Dead. Mit deren Bassisten Jack Bruce und Phil Lesh als Vorbilder verfeinerte er seine musikalischen Fähigkeiten und entwickelte sich zu einem der versiertesten Bassisten der Stadt.
Auch über Berlins Grenzen hinaus wurde er berühmt und stand im Licht. Mit Agitation Free, der experimentellen Band, die als Wegbereiter der avantgardistischen „Berliner Schule“ gilt, Vorläufer von Ash Ra Tempel und Tangerine Dream.
Schwer aktiv und entschlossen entwarf Fame die Zukunft von Agitation Free, entschied über Besetzungsfragen, warf Mitmusiker raus, heuerte neue an. Und tüftelte ständig am Sound. Die Technik interessierte ihn mindestens so sehr wie die Musik. Permanent arbeitete er an der Optimierung von Lautsprecherboxen und Gitarrentonabnehmern. Hier noch was und da noch was. Nur die schweren Verstärker und Instrumente schleppen – das überließ er lieber den anderen.
Agitation Free traten auf in den angesagten Clubs der Stadt: Zodiac, Beautiful Balloon, Quasimodo, Audimax und Mensa der TU – und schließlich auch im großen Berliner Sportpalast. Sie nahmen Platten auf, spielten in Darmstadt, Frankfurt, Kairo, Alexandria, Tripoli, Beirut, Zypern, Athen, Paris. Fame war in seinem Element: unterwegs sein, organisieren, Musik machen, im Licht stehen, ein Rockstar im Glanz. Und jede Menge Mädchenherzen flogen ihm zu.
So hätte es ewig weitergehen können. Doch 1974 lösten sich Agitation Free auf. Zu unterschiedlich waren inzwischen die musikalischen Vorstellungen; Fame hätte die Gruppe gerne mehr in Richtung Rockjazz entwickelt, aber die anderen wollten nicht. Eine Weile versuchte er es mit neuen Mitstreitern, aber irgendwann hängte er seinen exorbitanten, von ihm optisch und technisch einzigartig modifizierten halbakustischen Guild- Bass an den Nagel.
Aber er blieb im Musikgeschäft, als Mitbegründer und Teilhaber einer großen Verleihfirma für Licht- und Tonanlagen. Wenn Freunde etwas brauchten, einen Rat, einen Job, Geld oder sonst was, dann war Fame zur Stelle, ließ seine Kontakte spielen, vermittelte und half.
Irgendwann wurde er Planer der kompletten Veranstaltungstechnik für die Travestie-Show „Chez Nous“ und ihrer Tourneen durch die deutsche Provinz. Beim Jazzfest Berlin wurde er technischer Koordinator auf Jahrzehnte, fast auf Lebenszeit.
Früh schon arbeitete er mit Computern und konnte es später gar nicht glauben, wenn einer seiner Freunde noch keinen Internetanschluss hatte oder keine E-Mail-Adresse. Er war einer der Ersten, der Homepages zusammenbastelte für Freunde, Musiker und kleine Firmen.
Fame war gefragt und beliebt, so wie er es sich immer gewünscht hatte. Er genoss ein nobles Leben, wohnte in der Beletage und kurvte im dicken Mercedes durch die Gegend. Und wenn er jemand außerhalb Berlins besuchen wollte, fragte er erst mal nach den Flugkoordinaten. Er hatte einen Flugschein, und mit einer gemieteten Cessna flog er seine Freunde besuchen, einfach so, sein Hobby.
Es fehlte ihm an nichts. Nicht an Freunden, nicht an aufregenden Begegnungen mit Menschen, die er bewunderte. Eine ganz besondere Freude war es ihm, als er beim Jazzfest sein Idol, den Bassisten Jaco Pastorius, persönlich betreuen, in der Philharmonie dessen Anlage aufbauen und nach dem Konzert mit ihm im Hotel feiern durfte. Eine große Ehre auch, dass er mal mit Bo Diddley jammen konnte, dem alten Rock-’n’-Roll- und Bluesman.
Nur noch ein großer Traum verfolgte ihn all die Jahre: das Wiederaufleben von Agitation Free. Einmal noch in der Originalbesetzung spielen. 1997 war es endlich so weit. Auf einer Geburtstagsfeier des Agitation-Free-Gitarristen Lüül im Tränenpalast spielten sie zusammen, und obwohl seine Finger etwas eingerostet waren, strahlte Fame mit einem langen, wilden Bass-Solo. Ach, das war noch mal schön.
Und immer mehr träumte Fame von den guten alten Zeiten. Zumal sein Glück irgendwann aufgebraucht zu sein schien, ihm ein paar Schicksalsschläge schwer zusetzten. Die Licht- und Tonfirma ging pleite, sein Einsatz war verloren. Dann der Selbstmord einer ehemaligen Freundin, die Tode seines engen Freundes Matthias und des alten Weggefährten Manne Praeker, Bassist der Nina-Hagen-Band, mit der Fame als Roadie unterwegs gewesen war. Ach ja, die guten alten Zeiten. Fame schien in den Erinnerungen stecken geblieben zu sein, als es nicht mehr weiterging und alles immer kleiner wurde, immer weniger. Die Arbeit, die Aufträge, das Geld. Da verließ ihn auch noch seine Frau Aleksandra. Vielleicht der schwerste Schlag seines Lebens.
Der Alkohol, der mit diversen anderen Substanzen in den besseren Jahren noch der Bewusstseinserweiterung und Steigerung von Spaß und Lebensfreude gedient hatte, wurde zum Schmerzmittel, Kakao mit Wodka die Medizin der Wahl. Kakao, fand Fame, sei nährstoffreich und gut für die Leber. Dann war er seinen großen glänzenden Mercedes los, etwas später auch noch den Führerschein und damit auch den klapprigen Fiat und die ganze Mobilität.
Fame verließ nur noch selten seine düstere Souterrainwohnung am Roseneck. Eine große Reise gab es aber noch: Mit Agitation Free nach Tokio. Ein Traum eigentlich, der ihm aber immer mehr zum Albtraum geriet. Wie auch die späteren Konzerte in Berlin und Paris. Als ihn die Kollegen ständig bedrängten mit ihren Ratschlägen: Er soll mehr üben. Mit so langen Fingernägeln kann er doch nicht Bass spielen. Er soll zum Arzt gehen. Sich ein Fahrrad anschaffen. Sport treiben. Nicht so viel saufen. Was essen. Anständige Klamotten anziehen auf der Bühne.
Diese Spießer nervten ihn. Als sie ihn fragten, ob er überhaupt noch Lust hätte, sagte er: „Nein! Keine Lust mehr.“ Bei den letzten Konzerten der Agitation- Free-Reunion-Tour spielte er nicht mehr mit. Er blieb in seiner dunklen Wohnung.
Er telefonierte noch regelmäßig mit seinem alten Freund Ludwig, unterhielt sich stundenlang über Kochrezepte und Literatur. Techniken der Sauerkrautherstellung, wie man Marmeladen einkocht. Obwohl er da schon kaum mehr etwas aß. Oder sie sprachen über Bücher von H.P. Lovecraft, Edgar Allen Poe oder aus der deutschen Romantik. Brentano, „Des Knaben Wunderhorn“, die alten Lieder hat Fame gern gelesen, darüber unterhielt er sich mit großer Leidenschaft.
Zwei-, dreimal die Woche telefonierte er mit Harald, sprach über die alten Zeiten und über Gott und die Welt. Und die niederschmetternden Erfahrungen, die Fame zuletzt beim Berliner Rockarchiv mit den Kollegen gemacht hatte. Und dass er nun auch noch seine Tätigkeit bei den Berliner Jazztagen verloren hatte.
Wenn sich alte Freunde, die Fame länger nicht mehr gesprochen hatten, wunderten über seinen Salbaderton am Telefon, ahnten sie nicht, wie viel Tassen Kakao er jeden Tag so zu sich nahm. Als Harald mehrere Tage nichts mehr von ihm gehört hatte, schickte er die Polizei zu seiner Wohnung. Sie fanden ihn tot, gestorben an inneren Blutungen.